Spielraumnetze *01
Wohl jeder kennt sie – die roten Klettergerüste, die auf Spielplätzen omnipräsent sind und Kinder wie Erwachsene gleichermaßen in ihren Bann ziehen! Ihre Konstruktion ist verblüffend einfach: Ein Netz, aufgehängt an einem zentralen Stahlrohrmast und mit verstärkten Randseilen in Beton-Ankerblöcken im Boden verspannt. Fertig ist der sogenannte „Seilzirkus“. Schlicht und genial zugleich.
Mit diesem Seilraumnetz gewann der Architekt Konrad Otto Roland Lehmann alias Conrad Roland 1971 den „Sonderpreis Bundespreis Gute Form“1 und revolutionierte die Spielplatzlandschaft in über 50 Ländern. Früher exklusiv auf Abenteuerspielplätzen zu finden, sind die Netzlandschaften mit Mehrmastern, Hängebrücken und Sitzflächen inzwischen fast schon Standard – und wer mit Kindern zu tun hat, war sicher selbst schon Teil dieses Experiments.
Liest man die 1971 im Eigenverlag erschiene Erläuterung des Architekten zu seiner Erfindung, waren die Kletternetze nämlich weit mehr als ein Spielgerät: Sie waren Experimentier- und Trainingsfelder, um Kinder auf ein Leben in flexiblen, dreidimensionalen Hängestadtstrukturen vorzubereiten - eine „natürliche und entscheidend wichtige Vorstufe für eine zukünftige sozialistische Wohn-, Arbeits-, Erholungs- und Spielwelt“.2 Roland wollte, dass die Menschen „nicht mehr als passive Opfer repressiver und ausbeuterischer Wohnbaugesellschaften und privater Profit-Bauherren, nicht mehr als Gefangene in Betonsilos, sondern als ,homo ludens et movens‘ [...], frei, beweglich und offen für alle Möglichkeiten menschlicher Existenz und Kommunikation“ leben und agieren können.
Der 1934 in München geborene und 2020 auf Hawaii verstorbene Architekt war Schüler und Kollege von Frei Otto3 und teilte dessen Faszination für filigrane Seil- und Netzstrukturen. Sein Traum: hängende Städte, die flexibel auf die Bedürfnisse ihrer Bewohnerinnen und Bewohner reagieren und starren sozialen wie architektonischen Zwängen trotzen. Er sprach von „Möglichkeitskonstruktionen“, die sich ständig anpassen und Raum für eine wandelbare, lebendige Gesellschaft schaffen sollten. Die Kletterkonstruktionen, die er ab 1973 mit seiner Firma Spielbau Conrad Roland und später unter dem Lable Corocord Spielbau GmbH vertrieb, sind bis heute ein Vermächtnis dieser Vision. In einem seiner leidenschaftlichen Appelle schrieb Roland:
„Diese herrliche Freiheit, nur ihrer Lust beim Spiel zu folgen, sollte Kinder endlich zu anspruchsvollen und gefürchteten Bauherren für Spielplatz-„Gestalter“ werden lassen. All die kunstreichen Spielplatz-Architekten sollte man einmal einen Tag lang in ihre Spielgefängnisse einsperren und mit Kuchen aus der Sandkiste füttern. Und dann zum Psychoanalytiker mit ihnen, damit sie sich vielleicht doch noch einmal an ihre Kindheit erinnern - wahrscheinlich vergebens, denn viele sogenannte Kinderspielplätze sehen aus, als ob ihre Schöpfer und Erbauer bereits mit Hut und Reißschiene auf die Welt gekommen sind.“4
Auch wenn Roland seine kühnen Mega-Strukturen nie verwirklichen konnte und diese „Luftschlösser“5 blieben, fanden seine Zukunftsentwürfe auf den kindlichen Maßstab skaliert ihren Weg in die Realität. Der didaktische Anspruch, durch kindliche architektonische Raumerfahrung eine neue Wohn- und Lebensweise anerziehen zu wollen, war revolutionär. Nach dem Verkauf seiner Firma in den 1980er-Jahren und seiner Auswanderung übernahm das Nachfolgeunternehmen Corocord Raumnetz GmbH (heute KOMPAN) die Produktion und passte die Spielgeräte an neue Anforderungen an. Ob diese Entwicklung noch Rolands ursprünglicher Philosophie entsprechen, sei dahingestellt. Eines ist jedoch sicher: Spaß haben Kinder auf der ganzen Welt bis heute an den Kletternetzen.