USA *01

Lernen und Leben zwischen Glas und Stahl – Conrad Rolands Meisterjahre bei Mies

Bereits als Schüler träumte Conrad Roland davon, in die USA zu reisen. Doch erst Jahre später, nach einer Tischlerlehre und einem Architekturstudium an der TH München, erhielt er dank eines Fulbright-Stipendiums die Möglichkeit, sein Studium am Illinois Institute of Technology (IIT) in Chicago bei Ludwig Mies van der Rohe, Ludwig Hilberseimer und Walter Peterhans fortzuführen. Das Fulbright-Programm, ein 1946 gegründetes internationales Austauschprogramm zwischen den Vereinigten Staaten und inzwischen mehr als 160 Ländern, war insbesondere für die BRD Teil der Reeducation-Strategie. Ziel war es, deutsche Staatsangehörige durch die Erfahrung eines amerikanischen Studienjahres demokratisch zu prägen und den „American Way of Life“ als kulturelles Leitbild in der westlichen Welt zu etablieren.

Mit seinen zahlreichen Briefen an die Eltern, die er mit beeindruckender Regelmäßigkeit auf seiner „spröden Freundin ,Lettera‘ (Olivetti Schreibmaschine)“ 1 verfasste, fügte Roland sich unbewusst in diese Strategie ein. Die Briefe bieten nicht nur Einblicke in seinen persönlichen Alltag. Mit Bedacht formuliert schilderte „Konner“, wie er im familiären Umfeld genannt wurde, in schillernden Farben das vermeintlich glamouröse Leben eines einfachen Architekturstudenten inmitten einer illustren Society der Architekturszene. Mit bewundernden Blicken beschrieb er seiner Familie das Umfeld des Stararchitekten Mies van der Rohe, bei dem der „echte Paul Klee über dem Esstisch“ 2 zur Standardausstattung gehörten.

Die Schriftstücke sind fast ausschließlich von Roland selbst verfasst. Die Antworten seiner Eltern liegen am saai | Archiv für Architektur und Ingenieurbau nicht vor. In ihrer Wirkung erinnern die Briefe an die Mechanismen heutiger Social-Media-Kanäle, in denen persönliche Erlebnisse kuratiert und gezielt dargestellt werden. Rolands Briefe waren jedoch nicht auf eine breite Öffentlichkeit ausgerichtet, sondern auf eine enge, private Kommunikation mit seiner Familie beschränkt. Dennoch spiegeln sie nicht nur persönliche Erfahrungen, sondern auch die kulturellen und gesellschaftlichen Strömungen der Zeit wider.

Schon während der zweiwöchigen Überfahrt von Bremerhaven nach New York im Spätsommer 1957 ergriff Roland die Gelegenheit, in einem ausführlichen Brief seinen Eltern gegenüber seine Vorfreude auszudrücken und die ausgelassene Atmosphäre an Bord zu schildern. Gemeinsam mit rund 100 weiteren Fulbright-Stipendiaten – einem „bunte[n] Haufen[s] aus allen Teilen Deutschlands“ 3 – wurde gefeiert, getanzt und gesungen. Gleichzeitig war er beflügelt von den Erzählungen eines ehemaligen IIT-Studenten, der bereits erfolgreich seinen Weg in der amerikanischen Architekturszene gefunden hatte. In Chicago angekommen, wurden die hohen Erwartungen des jungen Architekturstudenten keineswegs enttäuscht. Besonders die Crown Hall, das von Mies van der Rohe entworfene Gebäude, das ein Jahr zuvor als Architekturschule eröffnet worden war, beeindruckte ihn tief. Bereits nach zwei Monaten reflektierte er in einem weiteren langen Brief seine Rolle als Schüler und seine Beziehung zu Mies:

„Wie ich zu Mies stehe? Ich bemuehe mich als ein Schueler, den Meister zu verstehen. Ich versuche den Geist zu begreifen, der so klar und schoen in seinem Werk ausgedrueckt ist. Was ist das Wesen unserer Zeit, wo ist der echte, urspruengliche Geist, den unsere Architektur verkoerpern soll. […] Mies selbst warnt immer wieder, wie entscheidend es fuer jeden von uns sein wird, dass wir uns klar darueber werden, in welcher Zeit wir leben, was diese Zeit kennzeichnet. Viele Erfahrungen und Erlebnisse werden noetig sein, um dieses Bild zu formen, denn erst dann werden wir faehig sein, einen eigenen Weg zu gehen. Dieser eigene Weg aber beutet nicht Originaitaet, sondern gemeinsame Suche nach Wahrheit. Das erfordert unabhaengiges Denken, eine klare Erkenntnis und ein positives Bekenntnis zur eigenen Zeit. “ 4

Dieses Streben, das Wesen der Zeit zu erfassen und eine architektonische Antwort darauf zu finden, wurde zu einem zentralen Ziel Rolands USA-Aufenthaltes. Die intensive Auseinandersetzung mit Mies’ Ideen über universelle architektonische Sprache und Wahrhaftigkeit prägte ihn und somit auch seine Studienentwürfe nachhaltig. Nicht ohne Stolz beschrieb Roland im selben Schriftstück seinem Vater detailreich seinen Entwurf für ein Wohnhaus:

„Bei dem Haus handelt es sich um eine Stahlkonstruktion mit einem Dach aus einem Rost sich kreuzender Stahlblechsteifen […] Im innern des Hauses stehen keine Stuetzen, alle Aussenfassaden sind verglast. Wenn man alleine sein will, zieht man die grossen Vorhaenge einfach zu und hat dann ein Haus mit einer Art farbiger, transparenter Waende. Im Innern steht das sog. „Core“, das mechanische Herz oder Zentrum, in dem sich Bad, Waschkueche, reichlicher Schrank- und Abstellraum […]. Das ist alles mit Worten schwer zu erklaeren, funktioniert aber gut uns sieht klar und schoen aus.“ 5

Besonders stolz war Roland, Mies nicht nur als Lehrer zu erleben, sondern durch seine Freundschaft mit seinem Enkel Dirk Lohan – „von Mies anscheinend aus erzieherischen Gruenden nicht verwoehnt, obwohl der Grossvater zweifellos Millionaer ist“ 6 – Einblicke in das persönliche Umfeld und Leben und Denken von Mies zu bekommen:

„Freitag hatte Mies uns wieder einmal eingeladen und wir haben bis spaet in die Nacht diskutiert […]; der alte Meister sitzt dann in seinem riesigen Wohnzimmer umgeben von seinen wundervollen Klee Bildern, pafft an seiner Zigarre und setzt uns seine Ideen auseinander.-Grosse und wesentliche Gedanken ueber Architektur und Zivilisation.“ 7

Der absolute Höhepunkt war dann aber Rolands Bezug eines Apartments in einem von Mies entworfenen Hochhaus am Lake Shore Drive gemeinsam mit Dirk:

„Am Samstag bin ich nun endlich umgezogen -in die Wolken, sozusagen. Ich wohne jetzt im 24. Stockwerk eines Wohnhochhauses aus Glas und Stahl, das Mies entworfen hat. Morgens stehe ich mit der Sonne auf, beobachte den Sonnenaufgang ueber dem See- es ist wie im Paradies.“ 8

Doch Roland nahm die amerikanische Lebenskultur durchaus kritisch unter die Lupe. In seinen Briefen beschrieb er die Ambivalenz der amerikanischen Gesellschaft:

„Das bigotte, verlogenen Spiessertum herrscht hier genauso wie in jedem anderen Lande … Ich bin fest ueberzeugt, dass es in USA mindestens ebensoviele selbstaendig denkende und wirklich gebildete Menschen gibt wie in Europa. … man kann von diesem Lande in jeder Hinsicht so ziemlich genau das Gegenteil der landlaeufigen Urteile und Vorurteile behaupten. Viele Menschen sind enger als der vernagelte deutsche Spiesser und andere wieder haben einen weiten Horizont und sind voll echter Begeisterung, die man bei uns nicht selten vermisst.“ 9

Trotz dieser zwiespältigen Beobachtungen setzte Roland alles daran, seinen auf ein Jahr angelegten Aufenthalt zu verlängern, um sein Studium mit dem Master of Sciences in Architecture abzuschließen. Dazu plante er, im Büro von Mies van der Rohe zu arbeiten, da er nach dem Auslaufen des Stipendiums seinen Lebensunterhalt selbst finanzieren musste.

„Ich will [Mies] auch in dieser Woche noch fragen, ob ich zumindest waehrend des Sommers in seinem Buero arbeiten kann, das waere natuerlich das non plus ultra. Die Beschaeftigungslage ist ansonsten nach wie vor denkbar schlecht, … von einem Ende der Recession ist noch keine Rede.“ 10

Dieser Traum ging trotz der wirtschaftlichen Schwierigkeiten in Erfüllung, und mit der Zeit vertiefte sich auch Rolands Beziehung zu Phyllis Lambert, der Tochter des Präsidenten der Seagram-Whisky-Dynastie. Seinen Eltern gegenüber erklärte er deren familiären Hintergründe und schilderte begeistert die „hoechst charmante und ungewoehnliche Abwechslung in [s]einem Junggesellendasein“ 11 durch die gemeinsame Zeit mit seiner „Whisky-Prinzessin“ 12:

„Ich weiss nicht, ob Euch die Zusammenhaenge wirklich klar sind: Phyllis ist die Tochter des Praesidenten der groessten amerikanischen Whisky Firma, fuer welche Mies vor drei Jahren den beruehmten Wolkenkratzer, das Seagrams Building, in New York gebaut hat. Sie hatte damals im Auftrag Ihres Vaters alle bekannten Architekten in USA besucht und dann Mies schliesslich damit beauftragt und sozusagen den Bauherrn gespielt…. Zweifellos eine hoechst anregende Gesellschaft fuer Euren Sohn.“ 13

Phyllis Lambert wurde im Laufe der Zeit zu einer zentralen Figur in Rolands Leben – sowohl als Förderin und architektonische Weggefährtin als auch als enge Vertraute. Während er seinen Eltern oft eine teils idealisierte Darstellung seines Lebens präsentierte, erlauben die Briefe an Lambert einen unverstellteren Blick auf Rolands berufliche und private Entwicklung sowie auf die Dynamik eines internationalen Netzwerks, das seine Zukunft maßgeblich prägte und eine eigene Betrachtung verdient.

MG, 20.1.2025

 

1  Brief an seine Mutter, 1959
2  Brief an seine Eltern, o.D. (vermutlich Januar 1958)
3  Brief an seine Eltern während der Überfahrt auf der M.S. Berlin, August 1957

4  Brief an seine Eltern, Dezember 1957
5  Ebd.
6  Ebd
7  Brief an seine Eltern, o.D.
8  Brief an seine Eltern, o.D. (vermutlich Februar 1958)
9  Brief an seine Eltern, Dezember 1957
10  Brief an die Eltern, Ostern, o.D. (vermutlich 1958)
11  Brief an seinen Vater, 1960
12  Ebd.
13  Brief an seine Eltern, September 1959 (oder 1960)

Projekt für eine Kunsthalle aus einem Raumfachwerk von Conrad Roland, 1959

Brief von Conrad (Konner) Roland an seine Eltern, vermutl. Januar 1958